Bericht von Mario Kempf von www.alpin-blog.com.
Ein geschätztes halbes Jahr ist es her, dass ich von einem Bekannten, der den Österreich-Vertrieb des (zu unrecht eher unbekannten) französischen Hauses “Blue Ice” macht, das Angebot bekam, Produkte zu testen. Der Hersteller bietet ein kleines, auf Alpinismus spezialisiertes, Portfolio, aus dem ich den leichten Hochtouren-Gurt “Coucas” erhielt. Der Gurt wird in einigen Größen S-M-L-XL angeboten — daher sollte für jede/n die optimale Größe dabei sein. Anders als ein klassischer Klettergurt verzichtet der Choucas auf jegliche Polsterung und ist dementsprechend nicht für längeres (hängendes) Sitzen ausgelegt. Dafür wird Platz und Gewicht eingespart.
Hardfacts
- Beinschlaufen: verstellbar (somit auch für dicke Hosen gut geeignet)
- Ein-/Ausstieg: mit wenigen Handgriffen Öffnung des Gurtsystems und dadurch komfortabler Ein-/Ausstieg mit Skitourenschuhen möglich (unbelastete Beinschlaufenteile vorne via Plastikschnalle verbunden)
- Verschluss: Eine Schnalle, wird rückgefedelt, auch mit Handschuhen gut zu bedienen. Auch wenn das Band nicht zurückgeführt wird ist die Funktion der Schnalle gewährleistet.
- Materialschlaufen: 1 an jeder Seite, also in Summe 2
- Anseilpunkt: 1 Schlaufe, die sich farblich hervorhebt (rot)
- Farbe: außen Silber, innen weiß
- Gewicht (nachgewogen in Größe Large): 180g ohne Hülle
- Material: Dynema
- Hülle: im Lieferumfang
- Preis: rund EUR 65,–
- Packmaß: gering
Besonderheiten
- 2 schwarze Mini-Schlaufen auf den Beinschlaufen. Sinn: Pro Seite kann 1 Eisschraube in die Materialschlaufe gehängt werden und durch die Minischlaufe so positioniert werden, dass die scharfen Enden nicht in die liebgewonnene (und teure) Gore-Tex Hardshell-Hose schneiden.
- 2 weitere schwarze Mini-Schlaufen bei den Materialschlaufen: Hier können Plastikhalter für Material eingefädelt werden und halten stabil (zB Petzl Caritool Materialkarabiner)
- die Größe ist auf einem kleinen “Tag” im inneren des Gurts vermerkt. Die unterschiedlichen Größen haben farblich unterschiedliche Tags. Ziemlich smart — v.a. für Kursbetrieb oder ähnliches.
- im Inneren einer Beinschlaufe ist ein kleiner “Schummelzettel” wie richtig eingebunden bzw. die Anseilschlaufe genutzt wird. Clever, allerdings bleibt der Schummler langsam aber sicher aus (ohne das der Gurt gewaschen wurde)
Mittlerweile hatte ich wirklich ausreichend Zeit, dieses Produkt auf Herz und Nieren zu testen und komme zu einem überraschenden Fazit:
Der Choucas ist ein Hammer-Gurt! Der direkteste Konkurrent ist aus meiner Sicht der Black Diamond Couloir (habe ich ebenfalls). Mein Problem mit dem Couloir ist, dass der Anseilpunkt sehr weit unten ist. Die Beinschlaufen bilden mit dem Hüftgurt praktisch ein “X” mit der Anseilschlaufe etwa dort, wo’s weh tut. Insbesondere mit schwerem Rucksack bleibt das ungute Gefühl, möglicherweise aus dem Gurt zu kippen. Außerdem ist dieser Sitz schlichtweg unbequem. Der Choucas ist von der Geometrie her (für große Menschen wie mich) deutlich besser. Außerdem stechen die zusätzlichen Features des Choucas (auch wenn diese nicht zwingendermaßen genutzt werden müssen) den Couloir aus. Einziges, wenn auch kleines Manko ist die weiße Innenfarbe, die bei Nutzung im Fels (z.B. beim Anlegen unterhalb eines Klettersteigs) bald den Farbton ändert. Allerdings gefällt mir gut, dass Innen und Außen unterschiedliche Farben verwendet werden: Dadurch sieht man auf einen Blick, ob der Gurt richtig angelegt oder verdreht ist!
Ich konnte den Gurt bei geschätzten 40 Touren einsetzen: auf Hochtour (Bergschuhe mit Steigeisen), am Klettersteig sowie im Winter mit Skischuhe (und ggf. Steigeisen). So lange keine Steigeisen am Schuh montiert sind, klappt der Ein-/Ausstieg durch simple Öffnung der beiden Plastikschnallen auch mit großen Stiefeln problemlos (mit schmalen Bergschuhe auch ohne Öffnung). Mit Steigeisen muss in der Gurt vorne aus der primären Schnalle aus-/eingefädelt werden. In der Praxis lässt sich das mit etwas Vorausschau problemlos vermeiden! Abgesehen davon sollte auf (Ski-)Hochtour der Gurt (theoretisch) sowieso bei der Hütte angelegt werden (auch wenn viele — inkl. mir — shame.on.me — das nicht tun).
Durch das Bandmaterial und die fehlende Polsterung ist der Gurt unter dem Hüftgurt des Rucksacks nicht zu spüren. Ein Vorteil gegenüber dicken gepolsterten Konkurrenten (v.a. die älteren Generationen), den man bei einem 15–20 kg Rucksack, der 10 Std. getragen wird, nicht missen möchte. Nachteil ist natürlich, dass ein Sturz sowie langes Hängen unangenehm ist. Meine Meinung dazu: Produkte dieser Art sind im Gegensatz zu komfortablen Klettergurten dazu gemacht, einen unvorhersehbaren Sturz, der alle heiligen Zeiten vorkommt zu halten. Klar ist, dass ich mit dem Choucas nicht mit kurzer, dünner Short im Sommer in den Klettergarten zum Ausbouldern gehe. Bin ich jedoch hochalpin unterwegs (mit zumindest langer Hose) sieht die Sache schon anders aus. Freie, harte Stürze kommt in diesem Gelände kaum vor (oder sollten es zumindest nicht tun). Das Höchste der Gefühle ist kontrolliertes Abseilen — und hierfür ist das breite Bandmaterial mehr wie ausreichend. Zu Übungszwecken nutze ich den Gurt auch bei einer Weiterbildung wo wir u.a. Fremdrettung (Seilrolle) und Selbstrettung (Prusiken) versuchten. Insbesondere bei Ersterem kann es gut vorkommen, dass man etwas länger ausharren muss –> absolut kein Problem mit diesem Teil. Auch der Sturz an sich (einige Meter frei über die Kante, danach Dynamische Bremsung bis Stillstand ca. 10m unterhalb des Spaltenrands) war kaum zu spüren.
Zu den Besonderheiten: Mit Selbstsicherungsschlinge (inkl. Karabiner) sowie zweitem Karabiner in der Anseilschlaufe passt die mitgelieferte Hülle natürlich nicht mehr (außerdem mag ich solche Hüllen aufgrund des umständlichen Einpackens — v.a. mit dicken Handschuhen — nicht. Das Packmaß ist allerdings auch ohne Hülle absolut überschaubar. Die Mini-Schlaufen habe ich nur zu Testzwecken genutzt, da mein gesamtes Material normalerweise auf den Schlaufen am Hüftgurt des Rucksacks hängen. Die Eisschrauben trage ich gesichert in Petzl Iceflutes mit. Wird der Rucksack jedoch zB unterhalb des Gipfelanstiegs deponiert sind die beiden Materialschlaufen definitiv hilfreich. Schummelzettel und farbliche Größen-Tags sind für Führungs– oder Kursbetrieb sicherlich hilfreich — für die persönliche Nutzung allerdings von untergeordneter Rolle. Wer regelmäßig in die Berge geht sollte schon wissen, wie er/sie sich einbindet und wenn er/sie es nicht tut, dann zumindest einen zuverlässige/n Partner/in für den Check am anderen Seilende haben…
Mir ist bewusst, dass das mit gesponserten (ja, ich erhielt den Gurt kostenlos) Tests immer so eine Sache ist. In diesem Fall freue ich mich außerordentlich, ein vollständig durchdachtes Produkt empfehlen zu können, das bis auf die etwas schmutzanfällige Innenfarbe (die nur eine Rolle spielt, wenn jemand am Berg eine blütenweiße Hose trägt) aus meiner Sicht KEIN VERBESSERUNGSPOTENZIAL bietet. Ein rundum perfekt gelungener Gurt, der seinesgleichen sucht.
Zusatzinformation
schlaufeWährend des intensiven Einsatzes und Kontakt mit dem Vertrieb von Blue Ice hat sich ein zusätzlicher Aspekt ergeben, auf den ich hinweisen möchte:
Im Auslieferungszustand wird das Gurtband, in dem sich auch die Einbindeschlaufe befindet normal durch die Schnalle geführt. Siehe oben. In der Praxis zeigt sich, dass sich evtl. in ungünstigen Belastungszuständen (zB bei Spaltensturz und seitlich gedrehtem Oberkörper) unter Umständen die Schnalle lockern und dadurch das Gurtband bis zum vernähten Endstück durchrutschen kann. Um diesem unwahrscheinlichen Fall vorzubeugen hilft ein einfaches Mittel: Das Ende des Gurtbands (blauer Pfeil) zurück durch die Schnalle (Öffnung im Bereich des roten Pfeils) fädeln. Somit zeigt das Ende des Gurtbands dann nicht mehr Richtung rotem Einbindering sonder in die entgegengesetzte Richtung. Problem solved 🙂